Dynamische Vorgänge in kondensierter Materie

Eine große Anzahl physikalischer Eigenschaften von Kristallen und amorpher oder schlecht kristallisierbarer Materie, also von Gläsern, Polymeren und Biopolymeren, sind dynamischer bzw. kinetischer Natur. Dabei seien „dynamisch“ und „kinetisch“ ganz grob durch ihre Zeitskalen unterschieden: Im ersten Fall hat man es mit atomaren oder molekularen Zeiten, also von etwa 10-14 bis 10-7 sec, zu tun, im zweiten mit makroskopischen Zeiten, von 10-6 sec bis in den Bereich von Stunden. Diese große Zeitskala umspannt eine Vielzahl von Phänomenen: Die kürzesten der genannten Perioden entsprechen etwa den thermischen Schwingungen der Atome (Phononen) in der Struktur von Diamant oder Silizium; Zeiten um 10-9 sec sind typisch für die Diffusion von Atomen in Kristallen und für Bewegungsabläufe in Polymeren und Biopolymeren.

Da der volle Bereich der Zeitskala etwa 18 Zehnerpotenzen beträgt, reicht eine einzige Meßmethode zur experimentellen Erfassung nicht aus. Man mißt die kurzen Zeiten (im Bereich von 10-14 bis 10-11 sec), bei gleichzeitiger räumlicher Auflösung, durch Energieverschiebungen mit Neutronenspektrometern (inelastishe Neutronenstreeung). Langsamere strukturelle Änderungen sind der direkten Messung durch stroboskopische Methoden zugänglich. Bei Prozessen im Bereich einer Sekunde kann heute bereits die Änderung der Kristallstruktur kontinuierlich verfolgt werden.

Die bewegung der Atome in festen Stoffen sowie die chemischen Bindungen zwischen den Atomen hängen von Druck und Temperatur ab. Durch eine Änderung dieser Zustandsgrößen können strukturelle Umwandlungen hervorgerufen werden, deren Mechanismen aus Beugungsexperimenten mit Neutronen- und Röntgenstrahlen sowie aus dem anomalen Verhalten makroskopischer Eigenschaften erschlossen werden können. daraus läßt sich ein tieferes Verständnis der charakteristischen dynamischen Wechselwirkungsprozesse im atomaren Bereich gewinnen.